[Nasional-d] Präsidialdekrete im Kampf gegen Islamisten

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Mon Oct 21 22:36:02 2002


21. Oktober 2002,  02:03, Neue Zürcher Zeitung

Indonesien verhaftet angeblichen Terrorchef 

Präsidialdekrete im Kampf gegen Islamisten 

Eine Woche nach dem Blutbad auf Bali hat Indonesiens
Regierung endlich Dekrete erlassen, die den Kampf gegen
den islamistischen Terror erleichtern. Mit Abu Bakar
Baasyr wurde derjenige muslimische Geistliche in
Polizeigewahrsam genommen, der als Hintermann
grenzüberschreitender Terrortaten verdächtigt wird. 

mo. Bangkok, 20. Oktober 

Eine Woche nach dem Terroranschlag auf der Insel Bali haben
Indonesiens Behörden am Samstag endlich das getan, was
ausländische Regierungen schon seit Monaten gefordert hatten: In
der zentraljavanischen Stadt Solo wurde der muslimische Geistliche
Abu Bakar Baasyr formal in Polizeigewahrsam genommen. Der
64-jährige Baasyr, der in Solo eine Koranschule leitet, wird von den
Sicherheitskräften Malaysias, Singapurs, der Philippinen sowie der
USA bezichtigt, einer der Anführer und geistiger Vater der
Islamistengruppe Jemaa Islamiya (JI) zu sein.

Das Blutbad von Bali zwingt zum Handeln 

JI ist gemäss den Erkenntnissen von Geheimdiensten eine über die
Landesgrenzen hinweg operierende Organisation, die mit Gewalt
Malaysia, Indonesien, Singapur sowie Teile der Philippinen und
Thailands zu einer gigantischen südostasiatischen islamischen
Republik vereinen will. Überdies soll JI verschiedentlich Usama bin
Ladins Terrornetzwerk al-Kaida Hilfe geleistet haben. JI ist auch eine
der Organisationen, die - möglicherweise in Zusammenarbeit mit
al-Kaida - als Urheberin der Bluttat von Bali in Frage kommen.

Baasyr ist von der Polizei vorderhand allerdings nicht im
Zusammenhang mit diesem Terrorakt festgenommen worden,
sondern unter dem Verdacht, Anstifter der «Weihnachtsbomben»
des Jahres 2000 gewesen zu sein. An Weihnachten vor zwei Jahren
waren zeitlich abgestimmt in neun Städten Indonesiens vor
christlichen Kirchen 19 Bomben explodiert, dabei starben 17
Menschen, und über 100 wurden verletzt.

Bisher hatten sich die indonesischen Behörden stets geweigert,
Baasyr verhaften zu lassen. Die Megawati-Regierung begründete dies
damit, es lägen keine ausreichenden Beweismittel vor, die angesichts
der gültigen Strafprozessordnung die Verhaftung rechtfertigen
würden. Ausserdem bestritt sie jeweils die Anwesenheit von
Kaida-Mitgliedern oder von Elementen mit Verbindungen zu diesem
Terrornetzwerk im Land. An diesen Voraussetzungen haben sich in
der vergangenen Woche mehrere Dinge radikal geändert. Zum einen
ist die Regierung von Präsidentin Megawati wegen der Bluttat von
Bali unter enormen Druck gekommen, die Gesetzgebung den
Umständen anzupassen. Zum anderen sind indonesische Polizisten
von einem Besuch in den USA zurückgekehrt, bei dem sie Omar
al-Faruk verhören konnten.

Bekenntnisse eines Kaida-Mitglieds 

Der gebürtige Kuwaiter al-Faruk war im vergangenen Juni in
Indonesien verhaftet und anschliessend in die USA ausgeliefert
worden. Dort bekannte er sich im Verhör offen dazu, ein führendes
Mitglied von al-Kaida zu sein. Von Anfang September an begann er,
über bevorstehende vom Netzwerk geplante neue Terroraktionen in
Südostasien sowie über die Zusammenarbeit mit JI und die Rolle
von Baasyr bei früheren Gewalttaten auszupacken. Ihre eigenen
Verhöre al- Faruks haben Indonesiens Polizisten offenbar bestätigt,
was ihnen zuvor schon die Amerikaner an Erkenntnissen
unterbreitet hatten.

Damit war jede Rechtfertigung weiterer Passivität der Regierung
definitiv hinfällig geworden, und Präsidentin Megawati
unterzeichnete am Freitag kurz vor Mitternacht zwei «Anti-Terror-
Dekrete». Das erste davon erlaubt die Festnahme von
Terrorverdächtigen auch ohne richterlichen Haftbefehl für bis zu
sieben Tage sowie die Ausdehnung dieser Massnahme durch einen
Haftrichter auch ohne konkrete Beweismittel bis zu sechs Monaten.
Ausserdem ermöglicht es die Bestrafung von Terrorakten, bei denen
Flugzeuge, Sprengstoffe, biologische, chemische oder radioaktive
Mittel verwendet werden, mit dem Tod.

Das zweite Dekret verleiht dem ersten rückwirkende Rechtsgeltung,
so dass dieses also auch bezüglich der Attentate in Bali oder der
«Weihnachtsbomben» angewendet werden kann. Ausserdem
stipuliert es die Gültigkeit des «Ausnahmegesetzes», bis dieses
durch ein regulär vom Parlament verabschiedetes Gesetz abgelöst
werden kann. Im Parlament blockieren konservative
Muslimparteien eine entsprechende Vorlage schon seit Monaten.
Jene Kreise stellen eine wichtige Stütze von Megawatis
Regierungskoalition dar; zu ihnen gehört unter anderen auch
Indonesiens Vizepräsident Hamzah Haz.

Wie stark der Widerstand gegen wirksame Massnahmen zur
Bekämpfung des Terrors weiterhin ist, zeigt sich daran, dass
Megawati die Dekrete statt wie angekündigt am Freitagnachmittag
um drei Uhr Ortszeit erst nach einer langen Kabinettsdiskussion um
Mitternacht unterzeichnen konnte.

Gespannte Lage vor Baasyrs Spital 

Beim über Baasyr verfügten Polizeigewahrsam handelt es sich
vorderhand um einen rein formalen Akt. Er war am Samstag der
Vorladung zu einem Polizeiverhör nicht gefolgt, weil er am Freitag
nach einem angeblichen Schwächeanfall mit Atembeschwerden in
ein Krankenhaus eingeliefert worden war. Den Anfall erlitt Baasyr
offenbar nach einer Rede vor Gefolgsleuten anschliessend ans
Freitagsgebet. Darin bestritt er, auf die bevorstehende Verhaftung
hinweisend, einmal mehr jede Verwicklung in terroristische
Machenschaften. Baasyr beharrte auch erneut darauf, den ihn
belastenden Zeugen al-Faruk nicht zu kennen. Überdies bezeichnete
er ebenfalls einmal mehr die JI und al-Kaida als «reine Erfindungen»
des «amerikanisch-jüdischen Propagandaapparates». Erneut
behauptete er auch, Usama bin Ladin sei kein Terrorist, sondern ein
«Held des Kampfes zur Verteidigung des Islam».

Wie krank oder geschwächt Baasyr wirklich ist, kann von
Aussenstehenden schlecht beurteilt werden. Sich durch
Spitaleinlieferung einer Verhaftung zumindest vorübergehend zu
entziehen, hat bei Indonesiens Korruptions- und Politprominenz
eine lange Tradition. Sicher ist derweil aber, dass seine
«Festsetzung» bereits eine gefährlich angespannte Situation in der
Stadt Solo verursacht hat. Das Spital ist seit Samstagmorgen von
schwer bewaffneten Soldaten abgeriegelt. Um diesen
Sicherheitskordon herum kampieren jedoch rund um die Uhr
mehrere hundert von Baasyrs fanatischen Anhängern.

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Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter:
http://www.nzz.ch/2002/10/21/al/page-article8H1P4.html