[Nasional-d] Ex-Präsident Abdurrahman Wahid: "Es wird neue Anschläge geben"

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Sat Oct 26 23:48:01 2002


Tagesspiegel, 26.10.02

Interview mit Indonesiens Ex-Präsident Abdurrahman Wahid

„Es wird neue Anschläge geben“ 

Die indonesische Regierung muss noch aktiver gegen Terroristen
vorgehen, sagt der frühere Präsident Wahid. Die Verhaftung des
Extremisten Bashir sei nur der Anfang 

Wer ist Ihrer Meinung nach für den Bali-Anschlag verantwortlich? . 

Wahrscheinlich hat eine indonesische, islamische
Fundamentalistengruppe den Anschlag mit Unterstützung aus dem
Ausland durchgeführt. 

Das hieße, dass eine internationale Terrororganisation,
möglicherweise Al Qaida, in Indonesien operiert. 

Ja. Vor kurzem hat sich in Saudi Arabien eine islamische
Extremistengruppe namens „Laskar Dschihad“ aufgelöst. Zwei Tage
später löste sich in Indonesien eine Gruppe mit dem gleichen Namen
auf. Natürlich gibt es internationale Verbindungen. Die militanten
Gruppen Indonesiens werden aus dem Mittleren Osten finanziert. 

Der indonesische Fundamentalist Abu Bakar Bashir ist verhaftet. War
das richtig?

Ja, er ist ein Terrorist. Bashir hat Beziehungen zu muslemischen
Extremisten im In- und Ausland. Er wird finanziell aus dem Ausland
unterstützt. Warum sollte man ihm Geld geben, wenn er kein Terrorist
wäre? 

Glauben Sie, dass Bashir für die Bali-Bomben verantwortlich ist?

Das ist schwer zu sagen. Es ist möglich, aber ich weiß es nicht. 

Viele Länder warnen vor Reisen nach Indonesien. Rechnen Sie mit
weiteren Anschlägen?

Oh ja. Wenn Regierung und Polizei nicht noch aktiver werden, werden wir
neue Terroranschläge erleben. Die Polizei hat den Richtigen verhaftet.
Aber das darf nur ein Anfang sein.

Viele Indonesier glauben, dass die USA die Bali-Bomben gelegt habe,
um Druck auf Indonesien auszuüben, stärker gegen Terrorismus zu
kämpfen. Woher kommt die antiamerikanische Stimmung? 

Niemand erkennt, dass die USA in manchen Bereichen unvernünftig, in
anderen Bereichen dagegen richtig agieren. Alles, was aus Washington
kommt, wird abgelehnt.

Vor dem Bali-Attentat fand der US-Vorwurf, die Regierung tue zu wenig
gegen Terrorismus, kaum Gehör. Hatte Washington Recht?

Ja. Aber viele verstehen nicht, dass in Indonesien nichts nur eine Frage
des Willens ist. Präsidentin Megawati Sukarnoputri war und ist schwach.
Sie kann nicht viel ausrichten. 

Militante übten auch ungestraft Gewalt aus, als Sie Präsident waren.

Das stimmt. Ich wies die Chefs von Polizei und Militär an, gegen diese
Gruppen vorzugehen. Meine Befehle wurden verweigert. Danach wurde
ich aus dem Amt gedrängt.

Die Regierung hat zwei Terrordekrete erlassen, Verhaftete können
sechs Monate ohne Anklage festgehalten werden. War das richtig?

Nein. Die alten Gesetze reichten aus, sie wurde nur nicht umgesetzt. Die
neuen Dekrete verletzen Menschenrechte. Die Sicherheitskräfte holen
sich die Macht zurück, die sie seit dem Sturz von General Suharto
verloren hatten. Ich erwarte, dass sie die Terrordekrete auch gegen
Gewerkschaftler missbrauchen werden. 

Viele Indonesier glauben, dass die USA einen Krieg gegen den Islam
führen. Wird Bashirs auf Druck der USA erfolgte Verhaftung diese
Meinung verstärken?

Nein. Es gab keine Unruhe nach seiner Verhaftung, er hat kaum
Unterstützer im Land. Die meisten Indonesier halten die Festnahme für
richtig. Die Sorge vor Gewalt war unbegründet. Indonesien ist ein
säkularer Staat. Fast alle Indonesier wollen, dass das so bleibt.

Das Gespräch führte Moritz Kleine-Brockhoff 

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