[Nasional-d] Al-Kaida, indonesischer Terrorismus, und Osttimor - gibt es eine Verbindung?

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Mon Oct 28 07:48:01 2002


Al-Kaida, indonesischer Terrorismus, und Osttimor - gibt es eine
Verbindung?

Analysen für die Deutsche Osttimor-Gesellschaft (DOTG)
Nr. 1 / 2002 (23. Oktober)
von Ingo Wandelt

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Bali, der 13. Oktober 2002. Eine Zeitenwende?

An dem Tag, als die Bombenattentate auf der als Ferienparadies weltweit 
bekannten indonesischen Insel die internationalen Medien für eine Woche
zu  beherrschen begannen (die Anschläge selbst geschahen am Spätabend
balinesischer Ortszeit des Vortages), wurde Indonesien zu einem medialen
Schauplatz des internationalen Terrorismus, den wir mit dem Symbol Al-Kaida
(auch El-Kaida oder Al-Qaida) zu benennen gelernt haben.

Die Bühne des internationalen Terrorismus in seiner organisierten
Qualität ist nicht nur Indonesien. Den Schauplatz der Philippinen kennen wir
schon lange. 
Verbindungen des Terrorismus zu Singapur und Malaysia werden mehr und mehr
bekannt. Insel-Südostasien scheint grenzübergreifend ein Tummelplatz
terroristischer Gewalt geworden zu sein.

Die Gewalt ist grenzüberschreitend, und ist auch nicht allein mit dem
Phänomen des Terrorismus zu verstehen. Reicht das Erklärungsschema Al-Kaida als
internationalem Terrornetzwerk zur Erklärung der Gewaltproblematik in der Region
aus? Wie sieht die Gemengelage der Konflikte in der Region aus? 
Gibt es  einen spezifisch regionalen Nährboden für terroristische Gewalt, und
welche  Rollen und Funktionen übt er aus?

Und was ist mit Osttimor? Ist der jüngste Mitgliedsstaat der Vereinten
Nationen  von der internationalen Berichterstattung im Kontext des Terrorismus
schlicht  und einfach vergessen worden, oder gibt es auch terroristische
Verbindungslinien  dort hin?

Hier eine kleine und vorläufige Spurensuche, und ein bescheidener
Versuch  herauszufinden, um was es in Südostasien beim Verstehen des Begriffes 
Terrorismus überhaupt geht.


Osttimor und der internationale Terrorismus

Vor gar nicht so langer Zeit gab es Meldungen, die Al-Kaida in direkte 
Verbindung mit Osttimor brachten. Die regelmäßige Lektüre der einzigen 
Webzeitung Osttimors, Suara Timor Loro Sa'e (www.suaratimorlorosae.com)
hielt  uns auf dem Laufenden.

Am 13. September schloss die australische Regierung ihre Botschaft in
Dili, weil  sie besorgt war wegen der Bedrohung durch militante pro-indonesische
Gruppen,  die, so wurde angenommen, bereits in Timor Loro Sa'e waren.
Australische  Nachrichtendienstkreise vermuteten Attentäter, die sich als
Trittbrettfahrer der Al-Kaida profilieren wollten. Zeitgleich rief die
australische Regierung ihre Bürger zur Vorsicht bei Reisen nach Indonesien und
Malaysia auf (STL 16.9.).

Am 16. September wurde die australische Botschaft bis auf eine
Rumpfbesatzung  von vier Personen evakuiert aufgrund eines konkreten Verdachts
der Bedrohung durch eine Gruppe, die eng mit dem Netzwerk der Al-Kaida verbunden
sei. 
Australische Botschaftsangehörige und ihre Familien wurden zum sofortigen
Verlassen Osttimors aufgefordert (STL 17.9.).

Tags darauf trat der osttimoresische Parlamentsabgeordnete Eusebio
Guteres vor die Presse und erklärte, dass sich bereits vier Mitglieder der
Al-Kaida auf osttimoresischen Territorium befänden, und zwar im Gebiet Tasi Tolu
und Caicoli. 
Die internationale Peacekeeping Force der Vereinten Nationen habe dort
bereits eine Aufklärungsoperation durchgeführt. Auf die Frage nach den Gründen
und  Zielen der vermuteten Präsenz der Al-Kaida in Osttimor antwortete Guteres
mit  dem Charakter Osttimors als einem Musterprojekt der Vereinten Nationen und
der USA, die es zum lobenswerten Ziel von  Vernichtungsschlägen machen (STL
18.9.).

Der stellvertretende Außenminister widersprach am Folgetag den
Ausführungen Guteres. Sein Ministerium könne noch keine Anwesenheit von
Terroristen in Osttimor bestätigen, geschweige denn eine Präsenz der Al-Kaida.
Er warnte vor unbedachten Spekulationen, die diese Organisation an zu vielen
Orten der Welt  vertreten sähen (STL 19.9.).

Es dauerte bis zum 22. September, bis AAP die Aufhebung der Terrorgefahr
meldete und eine sofortige Wiedereröffnung der australischen Botschaft
ankündigte. Zugleich wurde die Reisewarnung der australischen Regierung für
Osttimor herabgestuft.

Soweit die Meldungen.

Nach den Anschlägen von Bali haben wir gelernt, dass Warnungen vor
Terrorakten in Südostasien von Nachrichtendiensten der Vereinigten Staaten und
Australiens  durchaus berechtigt sind und auf erstaunlich akkuraten Erhebungen
beruhen. Diese Kreise sind ohne Zweifel besser über die Vorgänge in Indonesien
informiert als die Sicherheitskreise Indonesiens selbst. War also etwas dran an
der Gefahr?

Im Versuch einer Antwortfindung operieren wir im Feld der Spekulationen.
Aber es gibt einige Verbindungen zwischen Osttimor und Bali.

Die Flugverbindung zwischen Dili und Denpasar auf Bali ist die
wichtigste und am meisten frequentierte internationale Flugverbindung Osttimors.
In der Folge des Anschlages ist die Auslastungsquote der Merpati um 70 % auf
aktuell 50% Sitzbelegung gefallen (STL 21.10.). Die wirtschaftliche Direktfolge
des Terroraktes ist auch hier erkennbar.

Neben Darwin in Australien ist Denpasar auf Bali die nächst gelegene 
Zieldestination für internationale Flugverbindungen. Kann es sein, dass
die  Attentäter von Bali, sofern es sich um Ausländer (nicht-Indonesier)
handelt, von Dili aus nach Bali geflogen sind? - Spekulation!

Eine weitere Verbindung zwischen Al-Kaida und Osttimor zeigt sich über
einige beiläufige Meldungen wie die des Guardian vom 17. Oktober, in der von
einer vom  Sender Al Jazeera ausgestrahlten Aufforderung Osama bin Ladens vom 3.
November 2001 berichtet wird, die australischen (wörtlich) "Kreuzritter" auf
Osttimor zu treffen, weil sie im Zuge der UN-Friedenstruppen Osttimor betreten
haben im Versuch, ihren Fuß auf muslimischen Boden zu setzen, so wie US-Truppen
es im  mittleren Ostens getan haben. Osttimor, so bin Laden, sei ein Teil der 
westlich-christlichen Konspiration der Teilung und Auslöschung der muslimischen
Welt. Laut Guardian hätten damals allein westliche Nachrichtendienste Anschläge
in Osttimor verhindert.

Der Terrorismusexperte Rohan Gunaratna zeigt in derselben Ausgabe des
Guardian die möglichen Strukturen des Al-Kaida Netzwerkes in Südostasien auf.
Nach ihm ist die Jemaah Islamiyah (JI) als eigentliche Terrorstruktur der
Region, Ende der achtziger Jahre als indonesische Organisation entstanden, habe
aber, auch Dank der finanziellen Unterstützung der Al-Kaida, rasch regionale
operative Strukturen herausgebildet. Gründer ist der mittlerweile der Welt
bekannte Abu Bakar Ba'asyir, und der operative Kommandeur der JI ist der
untergetauchte Riduan Isamuddin alias Hambali.

Die operative Struktur der JI gibt uns einen kleinen Hinweis auf
Osttimor:

Die JI ist laut Rohan in vier Regionalorganisationen oder mantiqis
gegliedert, M1 bis M4.

M1 hat ihre Basis in Malaysia und deckt Malaysia und Singapur ab. M2 hat
ihr Zentrum in Surakarta / Solo in Zentraljava und deckt Indonesien mit Ausnahme
von Sulawesi und Kalimantan ab. M3, ursprünglich in den Südphilippinen
(Mindanao) beheimatet, operiert auf Borneo (einschließlich dem malaysischen Teil
und  Brunei), sowie auf Sulawesi. M4 schließlich decke West Papua und Australien
ab.

Nach diesem rudimentären Organigramm liegt Osttimor im Operationsbereich
der M3  oder M4. Aber auch das ist reine Spekulation!


Osttimor und der indonesische Terrorismus

Bevor wir weiter in den Bereich der möglichen Einbeziehung Osttimors in
den  Terrorismus hinein spekulieren, sollten wir uns des Faktums der
geografischen  Lage Osttimors im Rahmen der akuten wie hypothetischen
Bedrohungslage des  Staates bewusst werden: Osttimor ist von Westen bis
Nordosten von indonesischem  Staatsgebiet umgeben, und die quantitativ größte
Zahl der Bedrohungen muss  aufgrund der geografischen Sachlage von indonesischem
Gebiet her erfolgen. 
Osttimors Grenzen, das sind die ca. 180 km Landgrenze zu Westtimor und die 
erheblich längere Küstenlinie, sind dermaßen porös, dass sie vor illegalen 
Übertritten kaum geschützt werden können.

Die reale Bedrohung Osttimors wird heute in den Resten der pro-indonesischen 
Milizen in Westtimor identifiziert. Die Milizen mit Al-Kaida in Beziehung zu
setzen, ist hypothetisch denkbar, trägt aber den Widerspruch in sich, dass es
sich bei den Milizen und ihren Angehörigen mehrheitlich um
Christen handelt, was  eine Allianz oder ein Bündnis beider Gruppierungen wenig
wahrscheinlich erscheinen lässt.

Viel mehr müssten wir terroristische Handlanger unter den Minderheiten
der  extremistisch-fundamentalistischen indonesischen Muslime aufspüren können.
Sie  wurden aber bislang niemals als Bedrohung Osttimors benannt. Zumindest in
der  Öffentlichkeit, geschweige denn offiziell durch eine Regierungs- oder 
Sicherheitsinstanz. Dennoch lohnt sich hier ein Nachspüren. Dazu müssen wir 
jedoch den Terrorismus als ein Phänomen einer breiter angelegten 
Gewaltphänomenologie Indonesiens begreifen. 

Bei der Analyse der extremistischen, sich fundamentalistisch-islamisch
gebenden  Gewalt in Indonesien, wie sie sich seit 1998 entwickelt hat, treffen
wir auf  bestimmte Formen organisierter Gewalt, einer ziemlich einheitlichen,
gruppenübergreifenden ideologischen Vorstellungswelt, und einem geografischen 
Verteilungsmuster über den Archipel. Beginnen wir mit letzt genanntem Aspekt.


Die geopolitische Lage Osttimors

Der östliche Teil des indonesischen Archipels bildet, wenn wir ihn auf
einer regionalen Landkarte betrachten, einen Ring von Inseln, der ein
Binnenmeer  umfasst. Im Westen liegt Sulawesi, nordwestlich davon Sabah /
Malaysia, woran  sich östlich der Sulu-Archipel und Mindanao anschließen. Das
östliche Ufer  dieses Binnenmeeres bildet Westpapua, und im Süden finden sich
die Sunda-Inseln  und die Insel Timor. Gleichsam in der Mitte liegen die
Molukken, die sich in die nördlichen (mit u.a. Halmahera) und die südlichen
Molukken (u.a. Ambon) untergliedern. Es ist auffallend, dass die grenzen- und
staatenübergreifende  Gewalt in Südostasien, die man uns als
islamisch-fundamentalistisch zu benennen  gelernt hat, sich auf diesen Raum
Insel-Südostasiens konzentriert.

Dieses Bild von Ostindonesien als Meer-plus-Inselring ist mir aus dem 
geopolitischen Verteidigungskonzept der indonesischen Streitkräfte
bekannt, nach  der die Verteidigung Indonesiens von seinen Landmassen her zu
erfolgen hat. Ein Ring aus Landgebieten (Inseln) verteidigt die von ihm
umschlossenen Seegebiete, die in der konzipierten Einheit von "Land und Wasser"
(tanah air) den Archipel ‚Nusantara' ("die Inseln und das, was zwischen ihnen
liegt") und damit Indonesien, bildet.

Das Herausbrechen Osttimors aus dem indonesischen Verteidigungsring hat
diesen Verteidigungsring aufgebrochen und Meer und Land fremden Kräften
zugänglich  gemacht. Wissen wir doch, dass Osttimor direkt südlich der
Wetar-Ombai  Wasserstraße liegt, die u.a. den Passageweg für US-amerikanische
Unterseeboote  auf ihrem Weg vom Pazifik in den Indischen Ozean bereitstellt. 

Es gibt aus diesem Grunde die naheliegende Vermutung, dass die Gewalt
auf den südlichen Molukken, insbesondere auf der Insel Ambon, mit Osttimor in
Beziehung steht. Diese Region ist der direkte Nachbar Osttimors in nördlicher
Richtung. 

Die zeitliche Koinzidenz spricht für einen Zusammenhang der Gewaltakte
in  Osttimor und auf Ambon. Die, wie wir schon lange wissen, provozierte
organisierte Gewalt auf Ambon brach erstmalig in den Januartagen des Jahres 1999
aus, als der  damalige indonesische Präsident Habibie das Referendum über die
Unabhängigkeit  Osttimors vorschlug. Über die Koinzidenz hinaus sind die
Beziehungen der Gewalt  noch völlig unaufgeklärt.


Die Milizgewalt

Die Gewalt auf Ambon und den angrenzenden Inseln wurde ein wenig
durchschaubarer  mit der Gründung der islamisch-extremistischen Laskar Jihad
("Miliz des heiligen Krieges") auf Java im März 2000. Diese organisierte
paramilitärische Organisation besaß eine militärische Kommandostruktur und eine
logistische Organisation, die mehrere Tausend Mann ausgebildeter Truppen binnen
kurzer Frist  innerhalb des Archipels verlegen konnte. Die Unterstützung der
"LJ" durch die  indonesischen Streitkräfte (TNI) ist als sicher anzunehmen und
wird von Experten  nicht angezweifelt. Die LJ gruppierte sich um einen
militärischen Führungskern  von ehemaligen Mujahidin-Kämpfern in Afghanistan,
Indonesiern wie nicht-Indonesiern.

Die Laskar Jihad wurde danach auch in Zentralsulawesi im Gebiet um die
Stadt Poso aktiv, und gründete Stützpunkte in Westpapua. Ihr offen verlautbartes
Ziel war der bewaffnete Kampf gegen Christen im Zeichen einer vorgegebenen
Verteidigung regionaler muslimischer Gemeinschaften gegen bewaffnete christliche
Übergriffe. Die Beziehungen der LJ zu Al-Kaida ergeben sich speziell durch ein
Trainingslager der LJ bei Poso, in der 2001 Afghanistankämpfer ausgebildet 
worden sein sollen. Hier dürfen wir weitere Enthüllungen erwarten, wo doch seit
einer Woche die indonesischen Sicherheitskräfte nach zwei Jahren des diskreten
Wegschauens sich endlich für die Laskar Jihad interessieren. Diese wiederum, so
ist anzumerken, hat sich zwei Tage nach den Anschlägen auf Bali selbst
aufgelöst. Natürlich, so verlautbarten ihre mittlerweile untergetauchten
Sprecher, geschah dies nicht als Reaktion auf Bali. Man sei nur einer Fatwa aus 
Saudi Arabien gefolgt, die diese Auflösung angeordnet habe.

Die Laskar Jihad operierte militärisch in Regionen, in denen latente
Spannungen zwischen ethnisch und religiös sich definierenden Gruppen zumindest
unterschwellig vorhanden und durch die Wirtschaftskrise hoch explosiv geworden
waren. Die LJ trug aktiv einen entscheidenden Anteil an der Konflikteskalation
bei, auch wenn die Militärisierung der unruhegebiete von den betroffenen
Bevölkerungsgruppen - auch den muslimischen - nicht gewollt war.


Die Ideologie der LJ

Die Laskar Jihad war eine offen auftretende Organisation, die sich der 
Unterstützung, wenn auch nicht der muslimischen Mehrheit Indonesiens, so
doch einflussreicher Kreise des sogenannten Reformislam gewiss sein konnten.
Dazu gehörte, dass ihr moderne Medien für die Propagandaarbeit zur Verfügung
standen, unter anderem eine eigene, mittlerweile abgeschaltete Website
(www.laskarjihad.co.id). Sie vermittelte aufschlussreiche Einblicke in das
ideologische Weltbild des organisierten militanten Islam Indonesiens.

Der Islam in Indonesien, so die von radikaler Seite offensiv behauptete
These, sehe sich einer internationalen Konspiration ausgesetzt, die das Ziel der
Vertreibung des Islam aus dem Archipel und seine "Ersetzung" durch das
Christentum verfolge. Der Mastermind dieser Infamie sei einkonspirativer Bund,
bestehend aus den Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Handlanger, die
Vereinten Nationen, Australien und die Europäische Gemeinschaft.
Osttimor sei der erste Schritt dieses Kreuzzuges zur Re-Kolonialisierung des
Archipels gewesen, der in einer mittelfristigen Phase die Herauslösung von
Timor, den südlichen Molukken und Westpapua vorsehe. Die politisch-militärische
Separierung dieser Gebiete gehe einher mit einer zwangsweisen Christianisierung
dieser Gebiete und ihrer Bevölkerungen. 

Um es klar zu sagen: diese ideologisierte Sicht der Region ist nicht
allein die der Laskar Jihad, sondern wird von weitaus mehr Gruppen und
Gruppierungen in Indonesien geteilt, und nicht allein in
fundamentalistisch-islamischen Zirkeln. 
Sie findet sich ansatzweise auch in säkular-nationalistischen Kreisen des
Landes.

Diese propagandistische Vorstellung der LJ trifft die geostrategische
Realität der Region insoweit, als es exakt die Regionen östlich des
internationalen Seeweges durch diesen Teil des Archipels in fremde Hände legen
würde. Der Einsatz der Laskar Jihad im östlichen Archipel verfolgte damit
durchaus staatliche verteidigungsstrategische Zielsetzungen der indonesischen
Sicherheitskräfte, was ihre Unterstützung der Laskar Jihad verständlich, wenn
auch nicht beweisbar macht.

Eine strategische Prämisse dieser konspirativen Operationsplanung der
Laskar Jihad ist die Zuspitzung der religiösen Differenzierung zwischen Muslimen
und Christen bis hin zum Religionskrieg. Der Einsatz der LJ auf Ambon hatte
deshalb in letzter Konsequenz die Vertreibung christlicher Siedlungsgruppen auf
den südlichen Molukken zum Ziel, was in der Propaganda der Miliz niemals
verleugnet wurde. Die Vertriebenen hätten danach durch muslimische
Bevölkerungsgruppen aus anderen Landesteilen ersetzt werden müssen, um ein
weiteres Ziel der nationalen Sicherheit zu erreichen: dem Abfall der Molukken
nach dem Vorbild Osttimors  entgegenzuwirken. War doch, so eine andere
gemeinsame Argumentationslinie von Nationalisten und breiten Kreisen des
indonesischen Islam, der Abfall Osttimors nur möglich, weil die osttimoresische
Bevölkerung mehrheitlich christlich ist. 
Der fatale Schluss dieser simplen Argumentation liegt auf der Hand: 
Christen sind potentielle Landesverräter und eine Bedrohung der territorialen
Integrität Indonesiens.

Die andere Seite dieser Argumentation sieht die "gute" Religion als
‚deterrence' gegen den Separatismus, den Islam als strategisches Instrument
gegen eine behauptete internationale Christenkonspiration. Nationalismus und
islamischer Extremismus vereinen sich in der Paranoia.

Nun, soweit ist es nicht gekommen. Die indonesische Bevölkerung hat sich 
gegenüber dieser Propaganda als mehrheitlich resistent erwiesen. Die
Laskar  Jihad, ihre Unterstützer und Hintermänner haben diese Propaganda in
Indonesien nicht durchsetzen können, und ihre Selbstauflösung ist deshalb nur
konsequent. 
Die Regierung in Jakarta wandte sich, nicht zuletzt durch Druck von
innen und außen, gegen die Gewalt uns leitete behutsame Schritte der
Gewaltminderung ein, die erste Erfolge verzeichnen können. Traurige Ausnahme
bleibt Westpapua als der Region, der mehr Gewalt bevorzustehen scheint.

Völlig im Dunkeln tappen wir bei den Beziehungen zwischen der offenen
Gewalt der organisierten Milizen und der verdeckten Gewalt des indonesischen
Terrorismus. Beide haben ihren Anteil an Ausländern, vor allem aus dem Nahen und
Mittleren Osten, und beide sind immer international gewesen. Ob die einstigen
Milizionäre nun zu Terroristen mutieren, ob sie es schon immer waren, bleibt den
weiteren Vorgängen überlassen.


Eine internationale Krisen- und Konfliktregion

Die Gewalt im östlichen Teil des Archipels konnte sich rasch ausbreiten,
weil es sich um ein Binnenmeer mit relativ kurzen Verbindungswegen handelt. Der
Waffenschmuggel, die Verlegung von Milizionären und damit die Perpetuierung
aller Konflikte war kostengünstig und relativ rasch möglich. Neben leichten
Waffen sind speed boats das meist benutzte Transportmittel der Gewaltakteure der
Region. 

Gegenläufig zu den Verkehrsströmen der Gewaltpotentiale fließen seit
1998 endlose Flüchtlingsströme aus den Krisengebieten in vermeintlich sichere
Aufnahmegebiete. Der östliche Archipel ist weltweit eine Region mit der höchsten
Zahl an Binnenflüchtlingen (Internally Displaced Persons).

Osttimor ist aufgrund seiner geografischen Lage am südöstlichen Rand
dieses Binnenmeeres, aufgrund seiner geostrategischen Lage am südlichen Ausgang
des Seeweges durch den Ostarchipel, sowie wegen seiner ideologischen Verankerung
im paranoiden Weltbild extremistischer Nationalisten und religiöser
Fundamentalisten ein Teil dieser Konfliktregion. Osttimor muss deshalb auch ein
Teil der Lösung sein.

Sicherheit, und darüber hinaus Frieden in diesem Teil der Welt, kann nur 
erreicht werden, wenn die Gemengelage der Probleme und Konflikte in
ihren Zusammenhängen erfasst und angegangen wird.

Das Problem heißt nicht nur Al-Kaida. Die Aufgabe heißt die Befriedung
einer Region.

(Ende)

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