[Nasional-d] Ermittlungen auf Bali - Der lange Arm der Qaida
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Tue Oct 15 02:24:01 2002
SPIEGEL ONLINE - 14. Oktober 2002, 15:53
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Ermittlungen auf Bali - Der lange Arm der Qaida
Von Matthias Gebauer
Angeblich hat niemand mit einem blutigen Terror-Anschlag auf der Trauminsel Bali
gerechnet. In vertraulichen Schreiben warnen US-Behörden allerdings schon seit
längerer Zeit, dass sich die Region um Bali zu einem Rückzugs- und
Operationsgebiet der Qaida entwickelt. Als Statthalter Bin Ladens haben die
Amerikaner die Gruppe Jemaah Islamiyah im Visier.
Washington/Jakarta - Liest man nach den blutigen Anschlägen auf Bali die
amerikanischen Geheimdienstprotokolle ein zweites Mal, hört sich so manches wie
eine konkrete Ankündigung der Geschehnisse vom Samstag an. So berichtete der
angebliche Vertraute von Osama Bin Laden, Abu Zubayadah, den CIA-Beamten schon
vor Monaten im Verhör, dass al-Qaida ganz bewusst Leute in die Region
Südostasien, insbesondere nach Indonesien, schicke, um dort Kontakte aufzubauen.
Indonesien ist das Land mit der weltweit größten muslimischen
Bevölkerungsgruppe, die als überwiegend gemäßigt gilt.
Doch die Papiere geben noch mehr her: So habe die al-Qaida mit dem Kuweiter Omar
al-Faruq einen Statthalter in Indonesien plaziert, der dort in der Tat bis zu
seiner Festnahme im Juni 2002 mit einem gefälschten Pass lebte. Von Zubayadah
habe er, so gestand al-Faruq schließlich vor wenigen Wochen CIA-Agenten, den
Auftrag bekommen, "zeitgleiche Anschläge mit Autos oder Lkws auf US-Botschaften
in der Region" durchzuführen. Trotz seiner Festnahme würden die Vorbereitungen
für diese Anschläge weiter laufen, drohte al-Faruq den Beamten.
Haben die Getreuen von al-Faruq am Samstag ihre Planungen also zu einem Ende
gebracht? Ist es wieder der Terror-Krake al-Qaida und sein Führer Osama Bin
Laden, die hinter dem schlimmsten Terror-Anschlag seit dem 11. September
stecken? Und hat sich al-Qaida im unübersichtlichen Raum Südostasien einen neuen
Standort aufgebaut, nachdem die USA ihr Nest in Afghanistan ausgeräuchert haben?
Bisher halten sich Ermittler mit ihren Aussagen zurück, da sie aus Indonesien
kaum Informationen bekommen.
Hilfloses Raten statt Gewissheit
Lediglich die üblichen Experten analysieren recht nahe liegend, dass solch ein
Anschlag gut geplant und vorbereitet sein müsse. Am weitesten wagte sich der
australische Ministerpräsident John Howard bereits am Sonntag vor. Er
behauptete, dass die Terror-Organisation al-Qaida hinter den Anschlägen stecke.
In der Tat weisen vor allem die parallel ausgeführten Bombenexplosionen und die
verheerende Sprengkraft auf das Werk von Profis hin. Am Montag dann stellte sich
auch der indonesische Verteidigungsminister Matori Abdul Djalil vor die
Mikrofone und sagte, al-Qaida sei für die blutigen Anschläge verantwortlich.
Die Schuldzuweisungen in Richtung Osama Bin Laden müssen jedoch eher als Zeichen
der Hilflosigkeit denn der Gewissheit gedeutet werden. Noch stehen die
Ermittlungen ganz am Anfang - nicht zuletzt, weil die Behörden auf Bali mit den
komplizierten Nachforschungen anscheinend überfordert und auch unerfahren sind.
Sie sagten am Montag zurückhaltend, es gebe mittlerweile Personen, die man
befragen wolle. Mittlerweile haben deshalb die USA, Australien und auch
europäische Länder Experten-Teams nach Bali geschickt, um die lokalen Fahnder zu
unterstützen. Besonders die USA haben, wie in solchen Fällen üblich, ein ganzes
Heer von CIA-Agenten abkommandiert, um jeder Spur nachzugehen.
Als erstes werden sie die Bauart des Sprengsatzes und den benutzten Sprengstoff
analysieren. Eine zweite Spur liefert das Auto, in dem der Sprengsatz vor dem
Nachtlokal "Sari" explodierte - auch hier könnten sich Hinweise auf mögliche
Täter finden. Andere Teams werden sich mit ersten Zeugenbefragungen befassen.
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat neben Verbindungsbeamten auch sein
spezialisiertes Team für die Identifizierung von verkohlten und verbrannten
Leichen geschickt, das schon bei ähnlichen Fällen weltweit im Einsatz war.
CIA sieht Islamistenführer als Hintermann
Gleichwohl gibt es erste Vermutungen, wer hinter dem Bombenanschlag stecken
könnte. Im Zentrum der Spekulationen steht die islamistische Gruppe Jemaah
Islamiyah (JI). Sie setzt sich seit Jahren in Indonesien für die Rückkehr zum so
genannten Gottesstaat ein und betreibt mehrere Koranschulen. In diesen Schulen
sollen gewaltbereite Extremisten für den bewaffneten Kampf und auch für
Terroranschläge ausgebildet werden, glaubt die CIA. Auch aus dem, was deutsche
Sicherheitsexperten bisher wissen, würde ein solche Anschlag "für die Jemaah
Islamiyah Sinn machen", so ein hoher deutscher Geheimdienstler.
Für die CIA ist die JI der verlängerte Arm von al-Qaida in Indonesien.
Angeblich, so ein CIA-Dossier, könnte sich al-Qaida von den Ressourcen der JI
sowohl materiell als auch personell bedienen. Der Führer der Gruppe, der
64-jährige Abu Bakar Bashir, gilt für die Amerikaner als gefährlicher
Seelenfänger, den sie am liebsten im Gefängnis sehen würden. Bashir, der dem
radikalen Rat der indonesischen Gotteskrieger (MMI) vorsteht, erfüllt auch
bildlich alles, was das Feindbild eines radikalen Islamisten ausmacht. Er
huldigt Osama Bin Laden als "bestem Muslim von allen" und raunt gegenüber
Reportern in seinen langen Bart, dass er viele Osamas in seinen Schulen
ausbilde.
Bisher aber hat sich die indonesische Regierung geweigert, Abu Bakar Bashir
festzunehmen, da angeblich keine Beweise gegen ihn vorlägen. Auch als vergangene
Woche US-Botschafter Ralph Boyce erneut und dringlich bei indonesischen Behörden
vorsprach, blieben die Offiziellen gelassen. Boyce sagte, Washington habe
Beweise, dass der Geistliche Bashir am 23. September 2002 in einen Anschlag auf
das Haus eines US-Entwicklungshelfers in Jakarta verwickelt war. Jakartas
Polizei war hingegen der Meinung, es habe sich um eine private Fehde gehandelt.
Es ist schwer zu unterscheiden, ob der Geistliche Bahir nur den Hass gegen den
Westen predigt oder seine Getreuen zu konkreten Gewalttaten anstiftet. Zwar üben
auch die Regierungen von Malaysia und Singapur seit Monaten Druck auf Jakarta
aus, endlich gegen Bashir vorzugehen. Doch für die indonesische Regierung steht
auch die interne Stabilität auf dem Spiel. Gehen sie gegen den JI-Führer vor,
müssen sie erst recht die Gewalt seiner Anhänger, diesmal gegen die eigene
Regierung, fürchten. Bashir selbst verneinte am Montag jegliche Beteiligung an
den Anschlägen und machte westliche Geheimdienste für die Bluttat
verantwortlich.
Anschlag in Botschaften angekündigt?
Auch die Aussagen des im Juni 2002 in Indonesien verhafteten al-Qaida-Mitglieds
Omar al-Faruq belasten den Islamistenführer Bashir schwer. Laut Faruq soll
Bashir bereits für einen Bombenanschlag auf eine Moschee in Jakarta im Jahr 1999
verantwortlich sein, mit dem Muslime gegen Christen aufgehetzt werden sollten.
Er selbst soll von Bashir die Vollmacht über seine Kämpfer bekommen haben, so
al-Faruq weiter. Der 64-jährige Bashir bestritt allerdings, al-Faruk jemals
getroffen oder auch nur von ihm gehört zu haben. Doch auch wenn nicht alles, was
al-Faruq den CIA-Agenten berichtet, wahr ist, zeigt allein seine Tätigkeit, dass
al-Qaida irgendetwas in der Region plante oder noch immer plant.
Die Amerikaner haben die Drohungen von al-Faruq jedenfalls sehr ernst genommen.
Schon einen Tag nachdem seine Aussagen über einen geplanten Anschlag auf
US-Botschaften in die USA weitergeleitet worden war, schlossen die USA Anfang
September ihre Botschaften in der ganzen Region und fuhren die
Sicherheitsmaßnahmen nach oben. Der Kuweiter hatte ausgepackt, dass er mit
mehrere anderen Verdächtigen Anschläge vorbereitet habe und dazu bereits große
Mengen Sprengstoff ins Land gebracht worden sei. Kurz darauf wurden auf den
Philipinen ebenfalls mehrere Männer festgehalten, die mittlerweile einen
geplanten Anschlag auf US-Einrichtungen zum Teil gestanden haben. Einer von
ihnen gilt als enger Vetrauter von Bashir und der JI.
Ins Visier der Fahnder geriet nach dem Geständnis des al-Qaida-Manns al-Faruq
auch ein Deutscher, der seitdem in Jakarta in Haft sitzt. Der 42-jährige Ägypter
Seyam R., der nach der Hochzeit mit einer Deutschen auch einen Reisepass der BRD
besitzt, soll demnach sogar der Chef al-Faruqs für Operationen in Indonsien
gewesen sein. Gegen den Deutschen ermittelt mittlerweile auch die
Bundesanwaltschaft wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung. Welche Rolle R. tatsächlich spielt, ist weitgehend unklar,
allerdings sind sich die Ermittler sicher, dass er zu al-Qaida gehört und
wichtige Personen in der Organisation kennt.
Unabhängig von den Täter-Theorien der Amerikaner sehen deutsche Geheimdienstler
nach den Anschlägen von Bali die in der vergangenen Woche verbreiteten
Botschaften von Osama Bin Laden und seinem Vetrauten Aiman al-Zawahiri in einem
anderen Licht. "Wenn man sich die Botschaften jetzt durchliest, passen sie sehr
gut ins Bild", so ein deutscher Geheimdienstmann. In den Mitteilungen, die per
Tonband an die Öffentlichkeit gelangten, sagt al-Zawahiri angeblich, dass
al-Qaida "Botschaften" an Amerikas Verbündete senden wolle, um deren Beteiligung
am "Kreuzzug" der USA zu stoppen.
Bisher hatte man die Verbündeten der USA vor allem in Europa gesehen und
Rückschlüsse beispielsweise auf den Anschlag in Tunesien vor wenigen Monaten
gezogen. "Auch Indonesien gilt in den Augen der Radikalen als Verbündeter", gab
der Geheimdienstler jetzt zu bedenken. Mit einem solchen Anschlag würde man zwei
Ziele treffen: die westlichen Touristen ebenso wie Indonesiens Wirtschaft. "Ins
Strickmuster der Qaida würde das durchaus passen", so der Beamte weiter. Er wies
jedoch ebenfalls daraufhin, dass es sich bisher um reine Spekulation handelt, da
aus Indonesien selbst kaum gesicherte Informationen kämen.
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