[Nasional-d] Suedostasien - die gefaehrliche Terror-Front

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Thu Oct 24 20:36:19 2002


Süddeutsche Zeitung: 24.10.2002

Außenansicht 
Südostasien - die gefährliche Terror-Front 
Von Peter Carey 


Die Bombe von Bali kostete nicht nur das Leben hunderter Unschuldiger, sie
machte auch Indonesiens Hoffnungen auf eine demokratische Zukunft zunichte. Seit
Beginn der Finanzkrise in Asien im Juli 1997 wird der weitläufige Inselstaat von
schweren politischen und wirtschaftlichen Problemen heimgesucht. Separatisten in
Aceh und West-Papua, eine schlecht funktionierende Justiz und Verwaltung,
opponierendes und unberechenbares Militär, ein riesiger Schuldenberg von
Unternehmen und Regierung in Höhe von 140 Milliarden US-Dollar und Probleme wie
Korruption und Vetternwirtschaft - dies alles erschwert enorm den Übergang von
Suhartos Diktatur zu einer parlamentarischen Demokratie. Bevor die Bombe in Bali
hoch ging, schien es jedoch so, als ob das Land sich in winzigen Schritten auf
mehr Stabilität zubewegen würde. Man ging davon aus, dass die Regierung von
Präsidentin Megawati Sukarnoputri bis zu den Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen 2004 im Amt bleiben und danach dank Einführung der
Direktwahl des Präsidenten vielleicht sogar gestärkt an die Macht zurückkehren
würde. Durch die Katastrophe in Kuta steht das alles nun in Frage. 

Die Politik Indonesiens wird künftig von drei Entwicklungen bestimmt.
Die erste Entwicklung betrifft Bali selbst. Die so genannte "Insel der Götter"
ist nicht nur das Herzstück der indonesischen Tourismusindustrie, sie wurde in
der Zeit nach Suharto auch als einer der wenigen Orte Indonesiens angesehen, an
dem gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen
in Schach gehalten werden konnten. Mit ihrer einzigartigen Mischung aus
Hinduisten und Buddhisten sowie einem kleinen muslimischen Bevölkerungsanteil
galt die Insel als besonders tolerant und schien irgendwie immun zu sein gegen
die Spannungen im restlichen Indonesien. 

Nun könnte sich das alles ändern. Diejenigen, die die Bombe auf Bali gelegt
haben - im Verdacht steht die radikal-islamistische Gruppe Jemaah Islamiah,
möglicherweise unterstützt durch al-Qaida und kriminelle Elemente aus den Reihen
der Sicherheitskräfte -wählten ihr Ziel mit Bedacht aus. Neben ausländischen
Touristen waren etwa 40 Prozent Einheimische aus Bali unter den Opfern. 
Konfrontiert mit einem Massenmord, der eine radikal- islamistische Handschrift
trägt, und der Aussicht auf wirtschaftliche Verarmung durch den Zusammenbruch
der lokalen Tourismusindustrie, wird die Mehrheit der Hindu-Gemeinde auf Bali
wohl versuchen, sich an ihren moslemischen Nachbarn auf der Insel zu rächen.
Bereits jetzt bekommen Moslem- Familien Besuch von Bürgerwehren, die nach
Verbindungen zu Islamisten forschen, und ausländische Moslems stellten sich
freiwillig der Polizei, um nicht dem nach Lynchjustiz trachtenden Mob in die
Hände zu fallen. Die Situation auf Bali ist äußerst explosiv und der kleinste
Funke könnte genügen, Gewalt zwischen Angehörigen der Religionen und Ethnien
ausbrechen zu lassen. 

Die zweite Entwicklung betrifft das indonesische Militär, das am meisten von
strengeren nationalen Sicherheitsmaßnahmen profitieren dürfte. 
Während des Übergangs von Suhartos Regime zur parlamentarischen Demokratie zog
das Militär bis dahin nicht gekannte öffentliche Kritik auf sich. Es wurden
Schritte eingeleitet, um seine politische Rolle in der Gesellschaft zu
beschneiden. Der Grundsatz der Doppelfunktion", nach dem das Militär durch
administrative und militärische Aufgaben Einfluss auf das politische und
gesellschaftliche Leben nehmen konnte, sollte aufgegeben werden. Auf dem
Höhepunkt des Suharto-Regimes waren nicht weniger als 27000 Posten in der
zentralen und lokalen Bürokratie mit Militärangehörigen besetzt und aufgrund der
territorialen Befehlsstrukturen der Armee reichte ihr langer Arm bis ins
kleinste Dorf des Inselreichs. 

Als Suharto im Mai 1998 gestürzt wurde, war die Zuständigkeit des Militärs für
Verwaltungsaufgaben zwar bereits auf 7000 Posten verringert worden, doch seine
Rolle in der Politik war immer noch beachtlich. Selbst in der jetzigen
Übergangsphase belegt das Militär 35 von 500 Sitzen im indonesischen Parlament
und erhöhte seine lokale Präsenz durch die Stärkung seiner territorialen
Kommandostrukturen in Konfliktzonen wie Aceh und den Molukken. Die Dynamik der
politischen Reformbewegung wies dennoch in die Richtung eines professionelleren
Militärapparates mit weit geringerer Beteiligung an der Verwaltung des Landes. 

Die Bombe auf Bali scheint diesen Prozess umgekehrt zu haben. Das neue
Sicherheitsdekret übertrug dem Militär wieder größere Verantwortung für die
lokale Sicherheit. Der Beschluss von 1999, die Polizei von der Armee zu trennen,
wurde aufgehoben. Größere Vollmachten hinsichtlich der Festnahme und des Verhörs
von Verdächtigen (Inhaftierte können nun bis zu 60 Tage ohne Anklage
festgehalten werden) spielen dem Militär im Kampf gegen Separatisten und
politische Gegner in die Hände.
Gleichzeitig kündigten die USA und Australien an, verstärkt geheimdienstlich mit
der indonesischen Armee zusammenzuarbeiten. Damit werden die Verbindungen
weitgehend wiederhergestellt, die nach dem Massaker 1991 und den Ausschreitungen
1999 auf Ost-Timor teilweise eingefroren worden waren. Falls es in Indonesien zu
weiteren Terroraktionen größeren Ausmaßes kommen sollte, ist auch die Einführung
des Kriegsrechts nicht auszuschließen - ein weiterer Schritt hin zur Festigung
der Rolle des Militärs in der Politik. Es scheint sicher, dass die Armee eine
mächtige Präsenz im politischen Leben behalten wird, wobei frühere hohe Militärs
wie etwa Bambang Yudhyono, derzeit Minister für die Koordination von Politik und
innerer Sicherheit, als ernst zu nehmende Bewerber im Wahlkampf 2004 - wenn
nicht um das Amt des Präsidenten, so doch um das des Vizepräsidenten - auftreten
werden.
 
Und schließlich zählt Indonesien nun zu den Fronten Washingtons im "Krieg gegen
den Terrorismus". Dies ist eine beunruhigende Entwicklung, die schwer wiegende
politische Auswirkungen sowohl auf Indonesien als auch auf die südostasiatische
Region im Allgemeinen haben könnte.
Jakarta ließ sich bei seiner Außenpolitik lange von dem Prinzip der "aktiven
Unabhängigkeit" leiten. Anders als seine nächsten Nachbarn - Singapur, Malaysia,
Thailand und die Philippinen - gewährte das Land noch nie fremden Streitkräften
das Recht, Stützpunkte auf indonesischem Boden zu errichten. Eine Intervention
im US-Stil, wie auf den Philippinen gegen die Abu Sayyaf, wäre für Jakarta
unvorstellbar.
Bereits die begrenzte australische Intervention 1999 auf Osttimor löste in
Indonesien ein Beben aus. Selbst moderate Politiker wie Wahid verurteilten die
australische Intervention mit Worten wie diesen: "Sie haben uns ins Gesicht
gepisst". Die scheinbare Kehrtwende um 180 Grad, die die australische Regierung
nach der De-jure-Anerkennung der indonesischen Annexion Osttimors 1978 bis zum
militärischen Einschreiten nach dem Referendum über die Unabhängigkeit 1999
vollzog, war für viele Indonesier schwer zu ertragen. Es wurden sogar
Vermutungen angestellt, dass der hohe Anteil australischer Opfer auf Bali kein
Zufall gewesen sei. 

Die Aussicht auf internationale Militärinterventionen in Indonesien zur
Bekämpfung von al Qaida nahe stehenden Terroristen könnte - bei mangelndem
Fingerspitzengefühl - zu einer Verschmelzung von islamistischen und
nationalistischen Regungen führen. Falls Präsidentin Megawati Sukarnoputri den
Eindruck vermitteln sollte, sie beuge sich allzu leicht dem Druck der USA, und
falls die Festnahme von radikalen Moslem-Führern wie Abu Bakar Bashir Vorbote
für einen zunehmenden Druck auf extremistischeMoslem-Gruppen war, wird sich das
politische Klima rapide erhitzen. Dann wäre für Ausländer der Aufenthalt in
Indonesien riskant, und das Überleben der Regierung stünde auf dem Spiel.
Während Washington wie gebannt auf den Irak blickt, könnten die Ereignisse in
Südostasien weit bedeutender dafür werden, ob die nächste Phase im Krieg gegen
den Terror nach den Vorstellungen der USA verlaufen wird. Seit Ende des
Vietnamkriegs hat Südostasien nicht mehr eine derartige Schlüsselrolle gehabt
und ist gleichzeitig so wenig verstanden worden. 

Übersetzung: Eva-Christine Koppold Der Autor lehrt am Trinity College in Oxford
Geschichte und Politik Südostasiens und ist einer der führenden europäischen
Experten für diese Region.